Dienstag, 5. Juli 2016

Demokratie ist, wenn man trotzdem lacht

Immer wieder verblüffend anzuschauen, wie sich die meinungshabende Klasse in eine zutiefst beleidigte Kaste verwandelt, wenn es einmal nicht so läuft, wie sie es für richtig hält. Viele öffentliche Reaktionen auf das Brexit-Votum der Briten waren, um es höflich zu sagen, verblüffend. Da hieß es, die Dummen und Minderbemittelten, die noch nicht ausreichend Belehrten hätten für den Auszug Großbritanniens aus der EU gestimmt, blöde Landeier, dumpfe Alte, verhockte Asoziale. Da wurde daran gezweifelt, dass Demokratie eine gute Idee sei, über ein Wahlverbot für Ältere nachgedacht oder die Notwendigkeit von Abstimmungen über wichtige Angelegenheiten grundsätzlich infragegestellt.

Man fühlte sich glatt ins 18. Jahrhundert versetzt, als manch kluger Kopf mit ähnlichen Argumenten fürs Dreiklassenwahlrecht optierte.

Menschen, die sich normalerweise hingebungsvoll gegen Diskriminierung und Generalverdacht stemmen, finden nichts dabei, alte weiße Männer (und Frauen) zu diffamieren und ganze Generationen jenseits der 50 mit einem Generalverdacht zu belegen: dass sie nämlich, den Sarg im altersschwachen Auge, nicht mehr an die Zukunft dächten, sondern ihr letzten Erdentage nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ verbrächten.

Lassen wir mal beiseite, dass solche Argumente auch von weißen alten Männern geäußert werden, die sich in den letzten Jahren die allergrößte Mühe gegeben haben, künftigen Generationen einen gewaltigen Schuldenberg zu hinterlassen. Nicht etwa im Sinne von Zukunftsinvestitionen, sondern durchaus wegen recht gegenwärtiger Interessen: um eine Landtagswahl zu gewinnen (Energie“wende“) oder überhaupt wiedergewählt zu werden (kostspielige Wahlgeschenke). Sie dürfen im übrigen darauf setzen, für gegenwärtige Fehlentscheidungen nicht geradestehen zu müssen, aus jenem Grund, den sie den anderen vorhalten: wenn sich die Folgen bemerkbar machen, dürften sie schon ins Grab gesunken sein. Dass ausgerechnet diejenigen sich über die Zukunft der Jungen grämen, denen durchaus nicht daran gelegen, dass Eltern höchstpersönlich für die Zukunft ihrer Kinder und Kindeskinder vorsorgen, ist besonders grotesk. Kaum etwas ist bei der „Gerechtigkeit dank Umverteilung“-Lobby verpönter als das Erben und Vererben.

Zeugt die Schwärmerei für die „weltoffene“ Jugend womöglich gar von altersspezifischer Vergesslichkeit derjenigen, die sie zur allfälligenRebellion gegen „die Alten“ auffordern? Wir wollen ihnen nicht unterstellen müssen, dass sie an die Neuauflage der chinesischen Kulturrevolution denken, diesmal in Europa, also: Schlagt sie tot, die Alten, die nicht an die von oben verordnete Zukunft glauben.

Klar, es gibt junge Leute, die sich schon auf der Schule ausrechnen, wie sie einmal eine gute Altersversorgung erzielen. Eine erkleckliche Zahl Wohlstandsverwöhnter aber denkt nicht daran, sich um ihre Zukunft (oder gar die anderer) Sorgen zu machen, sie glauben in der Gegenwart besseres zu tun zu haben als zu Abstimmungen über den Brexit zu gehen. Ihre „Weltoffenheit“ beruht überdies nicht selten auf einem Mangel an schlechten Erfahrungen – oder, freundlicher gesagt, auf einer hinreißenden, lebensfrohen Naivität, die man leider mit dem Älterwerden verliert.

Was das politische Urteilsvermögen von Menschen unter 30 und insbesondere unter 20 betrifft, so hat die Geschichte ein paar unangenehme Lehren parat. Gerade den alten 68ern sollte noch präsent sein, wie sie als junge Weltoffene Mao und Ho-Tschi-Minh, Stalin und Pol Pot huldigten. Überall auf der Welt, zu allen Zeiten und Kulturen, sind es junge Männer, die eine Gesellschaft braucht, um blutige Kriege und Bürgerkriege zu führen. Eine älter werdende Gesellschaft ist schon deshalb eine friedlichere und, wer weiß, womöglich sogar dank Erfahrung eine weisere.

Nun glaube ich allerdings keineswegs, dass direkte Demokratie das Maß aller Dinge ist. Die Idee der Repräsentation ist eine gute Sache, derzufolge Politiker als Stellvertreter die individuellen Interessen ihrer Wähler mit dem Allgemeinwohl abgleichen. Die deutsche Parteiendemokratie mit ihrem Listenwahlrecht, das dafür sorgt, dass Abgeordnete vor allem ihrer Partei und nicht ihren Wählern folgen, ist indes nicht im Sinne des Erfinders. Man denke an die Abstimmung über den Eurorettungsschirm 2011, als man per Fraktionsdisziplin Stellungnahmen Abtrünniger unterdrücken wollte. Das war das Ende der FDP und die Geburtsstunde der AfD.

Die Grünen waren übrigens nur so lange für Plebiszite, solange sie glaubten, damit die in ordnungsgemäßen Wahlen nicht erreichte Legitimation sozusagen durch die Hintertür nachholen zu können. Heute, wo sich das Volk derart widerspenstig zeigt, nimmt man schon mal von seinen basisdemokratischen Prinzipien Abstand.

Überhaupt, die alten Parolen und „Prinzipien“: viele, die früher Widerstand für Pflicht hielten und der Staatsmacht zutiefst misstrauen, möchten heute Kritik an der Regierung am liebsten verbieten lassen. Und wo man früher „Small is beautiful“ gerufen hat, preist man heute das Großprojekt EU (gern mit Europa in eins gesetzt) als zukunftsträchtig und misstraut dem Nationalstaat, der doch immerhin eine überschaubare Größe ist. Warum? Weil die EU Frieden garantiere, während  der Nationalstaat blutigen Nationalismus erzeuge?

Der Kalte Krieg hat Europa nach 1945 Frieden beschert, nicht die EU. Als diese eiserne Klammer fiel, kämpften die vom Kommunismus befreiten Völker - wofür? Für die kleinste, die nationale Einheit, die mehr demokratische Kontrolle verspricht als sie in der EU verwirklicht ist.

Eins überrascht mich ganz besonders. Dass Deutschland sich verändere – etwa durch Zuwanderung – wird ja oft applaudierend begrüßt bei den Progressiven und Weltoffenen an der deutschen Meinungsfront. Von der Chance, die das Brexit-Votum der Briten bietet, ist dort jedoch kaum die Rede: es ist die Chance, Europa zu neuen Ufern zu führen, die weder EU noch Eurozone heißen, jene am Reißbrett entworfenen Konstrukte, die längst gescheitert sind.

Der Brexit könnte ein heilsamer Anstoß sein. Dafür hat das Volk der Dummen, Unbelehrten, Alten und Verhockten gesorgt.

Ins Offene, liebe Europafreunde!  Es muss ja nicht immer gleich das Weltoffene sein.

Zuerst bei wiwo online, 5. 7. 2016


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